Stephanie Willi (Audio folgt bald...)
Das heutige Völkerkundemuseum der Universität Zürich geht auf die Sammlung der Ethnographischen Gesellschaft Zürich zurück. Die Gesellschaft verfolgte das Ziel, eine Sammlung an Objekten auszubauen, um die sogenannte “Völkerkunde” zu ermöglichen. Unter “Völkerkunde” wurde damals vor allem die Erforschung aussereuropäischer Menschen und deren Lebensweisen verstanden. Die Erkenntnisse waren vor allem als Lehrmittel für Mittel- und Volksschulen gedacht. Angehende Kaufleute, welche die Märkte in kolonisierten Gebieten erschliessen wollten, sollten so mit aussereuropäischen Kulturen vertraut gemacht werden. Primär ging es also um den Ausbau von Handelsmöglichkeiten.
Am 1. Juni 1889 wurde die Sammlung der Ethnographischen Gesellschaft, passend zur ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung, im alten Börsengebäude eröffnet. Sie umfasste ungefähr 500 Objekte, die aus fünf Privatsammlungen stammten. Darunter waren Gegenstände, die sich der Zoologe Conrad Keller Ende des 19. Jahrhunderts angeeignet hatte, als er eine vom Bundesrat unterstützte Reise durch Ostafrika durchführte. Ausserdem waren auch Objekte in der Sammlung, die der Botaniker Hans Schinz besass. Schinz hatte die Forschungsreisen des deutschen Kolonialisten Adolf Lüderitz in Südwestafrika unterstützt und sich dabei verschiedene Objekte zugelegt.
Im 19. Jahrhundert beteiligten sich nicht nur Ethnolog:innen an der Erschaffung und Erweiterung der Sammlungen, sondern auch Missionar:innen, Zoolog:innen und Botaniker:innen. Das lag daran, dass die Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin erst im Entstehen war und erst nach und nach institutionalisiert wurde.
1899 schloss sich die Ethnographische und Geographische Gesellschaft zusammen und gründeten die Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich (kurz: GEGZ). Die GEGZ erweiterte systematisch ihre Objektsammlung. Dafür pflegte sie ein grosses, eng verflochtenes Netzwerk bestehend aus Schweizer Pflanzern, Ingenieuren und Kaufleuten, welche fleissig Gegenstände aus den Kolonien nach Zürich sandten.
Im selben Jahr wurde Rudolf Martin zum Direktor der Sammlung gewählt. Auf seinen Vorstoss hin wurde an der Universität Zürich ein Institut für Physische Anthropologie gegründet. Der Hauptfokus des Instituts war es, die Vermessungen von Körper- und Schädeln zu vereinheitlichen, eine Methode, die heute besser als “Rassenforschung” bekannt ist. Rudolf Martins “Lehrbuch der Anthropologie” wurde sogar europaweit zum Standardwerk der sogenannten “Rassenanatomie” und Zürich damit gewissermassen zum Zentrum der Ausbildung von Rassentheoretiker:innen. Einige Rassenforscher:innen, die in Zürich studierten, waren später sogar im NS-Reich tätig.
Nachdem Rudolf Martin als Direktor des GEGZ 1909 zurücktrat, übernahm Hans Jakob Wehrli als erster ausgebildeter Ethnologe die Leitung der Sammlung. In den Folgejahren wuchs sie derart an, dass bald Platzmangel herrschte. Das führte zur Gründung des Völkerkundemuseums, wodurch ab 1913 die Sammlung der Universität Zürich gehörte. 1980 zog das Völkerkundemuseum an den heutigen Standort im Alten Botanischen Garten der Universität Zürich. Die kolonialen Zusammenhänge, in denen die Ethnologie und damit auch die Zürcher Sammlung eingebunden waren, treten heute häufig in den Hintergrund. Dabei waren sie die Grundlage dafür, dass die Sammlung überhaupt entstehen konnte.
Weiterführende Literatur:
Zangger, Andreas: Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860-1930), 2011, S. 361-363.
Völkerkundemuseum: Geschichte, URL: https://www.musethno.uzh.ch/de/Ueber_uns/geschichte.html (zuletzt am: 19.07.2021).
Germann, Pascal: Zürich als Labor der globalen Rassenforschung: Rudolf Martin, Otto Schlaginhaufen und die physische Anthropologie, 1900-1950, in: Die Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über die Schweiz und die Welt, 1800-2015, hg. von Patrick Kupper und Bernhard C. Schär, 2015, S. 158-173.