Neumarkt 13

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Foto von Monique Ligtenberg

Was ist die Geschichte hinter den rassistischen Häusernamen am Neumarkt 13?

Ashkira Darman (Audio folgt bald...)

TRIGGERWARNUNG: Der folgende Beitrag enthält Quellenzitate, die sich rassistischer Sprache bedienen.

Durchschnittlich alle fünf Jahre wechselten die Zürcher:innen im 15. Jahrhundert ihren Wohnsitz. In dieser regen Bewegung war der Hausname oft das einzige stabile Element, das über lange Zeiträume hinweg ganze Strassenzüge zusammenhielt. Er diente der Orientierung, Identifizierung und Eigentumsklärung. So verweist beispielsweise eine Verkaufsurkunde von 1443 auf den Besitzerwechsel des “hus zum Morenkopff”, das wir heute mit der Adresse Neumarkt 13 verbinden. Und eine weitere Quelle belegt, dass dort 1467 der “sidensticker” [Seidensticker] Jörg Rott und seine Familie wohnten und dafür fünf Pfund Steuern zahlten.

Gleich mehrere Häuser in Zürich tragen im 14. und 15. Jahrhundert den Begriff “M***” im Namen, so auch ein weiteres Haus der Marktgasse 19, das ab dem 16. Jahrhundert unter dem Namen “M***könig” bekannt war. Solche Häusernamen sind keine Spezialität von Zürich, sondern finden sich in zahlreichenspätmittelalterlichen Städten. Dochwas verstanden die damaligen Zeitgenoss:innen unter diesem aus heutiger Sicht rassistischen Begriff?

Im frühen Mittelalter vom 6. bis zum 11. Jahrhundert war die Bezeichnung “M***”eine Herkunftsbezeichnung und geht auf das lateinische Lehnwort “maurus” zurück. Zunehmend verschmolz sie jedoch mit dem griechischen Begriff “moros”, der töricht und gottlos bedeutet. In dieser Wortverschmelzung spiegelt sich auch die Sicht des “christlichen Europas” auf die “muslimische Welt” wider. Der umstrittene Begriff bezeichnete folglich sowohl Bewohner:innen Mauretaniens, als auch ganz Afrikas oder auch Muslim:innen. 

Bis zu den Kreuzzügen im 11. Jahrhundert gab es in Europa kaum direkten Kontakt mit Menschen, die als M*** bezeichnet wurden. Dennoch tauchten in theologischen Texten und Bildern zahlreiche Figuren mit explizit schwarzer Hautfarbe auf, die für die Zeitgenoss:innen das Negative, die Sünde und das Böse verkörperten. Bis ins Spätmittelalter wurden so Schreckbilder von grotesken schwarzen Dämonen und Teufeln mit afrikanischen Gesichtszügen verbreitet.

Als sich ab dem 11. Jahrhundert Fernhandel intensivierte, nahmen die Kontakte mit Menschen aus dem arabischen und afrikanischen Raum zu. Damit einhergehend entstanden auch mehr bildliche Darstellungen von sogenannten “M***”. Diese Darstellungen waren jedoch ambivalent. So wurden Schwarze Menschen einerseits als weniger menschlich oder als Folterer von Christus dargestellt, andererseits gab es aber auch Beispiele positiver Darstellungen, wie etwa die des heiligen Mauritius’, der drei Könige oder einzelner afrikanischer, nicht-christlicher Menschen, die sich “tugendhaft” verhielten. In Zürich sowie in ganz Süddeutschland finden sich allerdings keine schwarz gezeichneten Darstellungen des heiligen Mauritius oder der Stadtheiligen Felix und Regula, die alle drei der thebäischen Legion angehörten und z.B. 1160 in einer Kaiserchronik als “moren” bezeichnet worden sind.

In der Kunst des Spätmittelalters nahm die Vielfalt der dargestellten Hauttöne schliesslich ab. Höhergestellte christliche Menschen wurden vermehrt mit weisser Haut abgebildet. Schwarze Menschen hingegen wurden zunehmend abwertend dargestellt. Dabei wurden Klischees aufgegriffen, die auch noch im neuzeitlichen Rassismus prominent weiterbestanden. Religiöse und kulturelle Zuschreibungen wurden zunehmend mit äusserlichen Merkmalen verbunden. So wurden auf der iberischen Halbinsel bereits ab dem 15. Jahrhundert grundsätzliche Unterschiede zwischen Menschen behauptet, um so bestimmten Menschen Rechte und Privilegien zu verwehren.

Dieser Bedeutungswandel verdeutlicht, dass hinter der Figur des “M***” eine ambivalente Geschichte steht, welche stark von Aus- und Abgrenzung geprägt war. Während der Begriff zu Zeiten des Seidenstickers Jörg Rott im 15. Jahrhundert noch nicht rassistisch konnotiert war, wurde er zunehmend zum Symbol für Exotik und Fremdheit. Vor dieser Begriffsgeschichte ist die Verwendung auch heute zusehen, nicht bloss vor seiner “ursprünglichen” Bedeutung. 


Ashkira Darman ist Historikerin und hat ihre Doktorarbeit im Bereich spätmittelalterlicher jüdischen Geschichte mit einem Schwerpunkt in den Themenbereichen Rechts- und Finanzgeschichte an der Universität Zürich geschrieben. Seit längerem setzt sie sich mit den Fragen nach der Wissensproduktion und der Wissensvermittlung im Rahmen des postkolonialen Ansatzes auseinander. Sie unterrichtet am Realgymnasium Rämibühl Geschichte.

Quellenverzeichnis:

Quellenexzerpte und Hausgeschichte von Heinrich Steinmann 1979, Baugeschichtliches Archiv Zürich.

Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des XIV. und XV. Jahrhunderts. Steuerrödel 1467 – 1470. Hsg. vom Staatsarchiv des Kantons Zürich. Zürich 1942 – 1958.

https://www.gsk.ch/de/kds-online.html (Bilder)

Weiterführende Literatur:

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Hatt, Linda. Die Hausnamen der Schaffhauser Altstadt. Masterarbeit Universität Zürich. 2014. https://www.ortsnamen.ch/Texte/Hatt_Hausnamen_Schaffhausen.pdf

Hinrichsen, Malte und Wulf D. Hund. Metamorphosen des «Mohren». Rassistische Sprache und historischer Wandel. In: Sprache - Macht – Rassismus. Berlin 2014S. 69 – 96.

Gilomen, Hans-Jörg. Demographie und Mobilität. Fragen nach den Grenzen von Bindung von Familienidentität an den Wohnsitz in der spätmittelalterlichen Stadt. In: Häuser, Namen und Identitäten. Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte. Hsg. K. Czaja und G. Signori. Konstanz 2009. S. 11 – 30.

Grohne, Ernst. Die Hausnamen und Hauszeichen. Ihre Geschichte, Verbreitung und Einwirkung auf die Bildung der Familien- und Gassennamen. Göttingen 1913.

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Ziegler, Joseph. Physiognomy, science, and proto-racism 1200 – 1500. Miriam Eliav-Feldon, Benjamin Isaac, Joseph Ziegler (Hsg.) The Origins of Racism in the West. Cambridge 2009. S. 181 – 199.